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Spurensuche

von Dr. Thomas Müller - Katalog "Verstopft & Zugenäht" 2001

Sabine Barber hat erst relativ spät und auf kunstpädagogischen „Umwegen" zur professionellen künstlerischen Arbeit gefunden. Um so erstaunlicher ist das bisher Geschaffene.Vielfältig, jedoch einer maßvollen Grundhaltung folgend, werden die Betätigungsfelder, Themenbereiche sowie Darstellungsformen erschlossen. Das resultiert aus der Suche nach den jeweils adäquaten Ausdrucksmitteln und spricht für eine stetige Experimentierfreude.

Allein die Fülle der Materialien und Techniken, deren sich Barber bedient, die sie variiert oder kombiniert, ist bemerkenswert. So bietet das Werk immer wieder überraschende und unkonventionelle Lösungen, ohne bestimmte Traditionen oder Wertvorstellungen außer acht zu lassen.Vielschichtig sind die verschiedenen Artikulationen miteinander verwoben. Das gilt für Formen wie Inhalte.

Ein Gespür für Handwerkliches, für alles Stoffliche und die spezifischen Eigenheiten unterschiedlicher Materialien sowie Improvisations-vermögen wurden bereits wesentlich durch das Elternhaus geprägt. So kann es kaum verwundern, daß fami-liäre Beziehungen, Lebensbilder und konkrete Spuren wiederholt imTextilen oder bestimmten Accessoires Widerspiegelung finden. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Zusammengefügten zunächst um sehr persönliche Gegenstände und damit verbundene Erinnerungen.

Doch auch in derartigen, relativ intimen Arbeiten kommen kennzeichnende Beweggründe für Barbers Gestaltungen zum Ausdruck. Es sind die Achtung vor und die Liebe zu den kleinen, im Alltag häufig übersehenen oder kaum geschätzten „Dingen des Lebens", die sie motivieren. Selbst dem vorgeblich Unscheinbaren gilt gebührende Aufmerksamkeit. Von neuem erfährt es Würdigung und Belebung. Vor allem in ungewöhnlicher Konstellation erlangt der einfachste Gegenstand eine Bedeutung, die über das rein Äußerliche oder die ursprüngliche Funktion hinauszuführen vermag. Auf diese Art von „Spurensuche" werden neben ästhetischen Besonderheiten ebenso Geschichte und Geschichten veranschaulicht.

Die fast grenzenlose Sammelleidenschaft Sabine Barbers hat nichts mit bloßer Nostalgie gemein. Als Recherche, Selbster- kundung und Kommunikationsangebot werden Vergangenes, Gegenwärtiges und damit auch Zukünftiges individuell sowie allgemeingültig hinterfragt. Mit dem Bewahren und betonten Herausstellen geht ein geistigethischer Prozeß einher. Solche Assemblagen verbildlichen Wertmaßstäbe und Relationsverständnis. Sie widersetzen sich dem Vergessen wie auch der Oberflächlichkeit in der schnelllebigen heutigen Zeit. Die Objekte vermögen zu sensibilisieren und dienen der Besinnung. Allerdings geschieht das nie moralisierend, sondern aufsehr lebendige, wirklich anregende Weise.

Ebenso behutsam wie sich Barber den Themen nähert, ist ihr Umgang mit den Materialien und deren Gebrauchs- oder Verfallsspuren. Nichts wird vergewaltigt. Vielmehr hebt sie den Reiz schlichter Werkstoffe oder Gegenstände, deren Farb- und Strukturreichtum hervor. Ein ganz besonderes Verhältnis zu allem Natürlichen ist dabei unübersehbar. Überhaupt spielt in Barbers Werk die Natur - im Großen wie im Kleinen, direkt oder indirekt - eine wichtige Rolle. Einerseits deren unermeßliche Vielfalt und andererseits die dem innewohnende Ordnung und Harmonie stimulieren immer wieder die künstlerische Auseinandersetzung. Was zum Beispiel mit der verdichteten und abstrahierten Übertragung von Landschaften begann, mündet nun im unmittelbar in die Gestaltung einbezogenem Fundstück.

Kontinuierlich erprobt und verbindet Sabine Barber verschiedenste Materialien sowie Techniken. Zunächst faszinierten sie das Patchwork und vor allem die Stickerei, die sich bis heute wie der sprichwörtliche rote Faden durch ihr Oeuvre zieht. In den achtziger Jahren dominieren klare, teils streng reduzierte Formen die Bildgefüge. Sie können sowohl Bewegungen als auch Räumliches assoziieren. Lebendige Details verleihen den Gebilden ein eher malerisches oder mehr grafisches Gepräge. So sind die Kompositionen wie bei der Serie von "Zeichen" maßvoll ausgewogen und doch voller Spannungen.

Die Farbklänge wirken meist verhalten. Ein bedecktes, fein abgestimmtes Kolorit überwiegt. Nur wo nötig setzen kräftig oder kostbar leuchtende Töne prägnante Akzente. Generell sind das emotionale Moment, die denArbeiten innewohnenden Stimmungen wichtig. Sie können elegische Stille übertragen und ebenfalls in heiter beschwingte Gefühlswelten führen.

Besonders temperamentvoll muten viele der experimentellen Objekte an. Die Lust am Spielerischen, an wirklich pfiffigen Effekten und verblüffenden Bestandteilen wird offensichtlich. Sogar funktionstüchtige Spiele laden zum fröhlichen Mittun ein In andere Arbeiten werden Ausdrucksmittel fremder Kulturen einbezogen. Uralte Mythen und Menschheitsträume leben in lapidaren Symbolen wieder auf. Ihrer magischen Ausstrahlung kann man sich kaum entziehen. Solchen Bildfindun- gen haftet etwas Geheimnisvolles an. Sinnbildliches.Traumhaftes wie Wirkliches überlagern sich und fließen ineinander.

Seit Anfang der Neunziger gewannen freie, weitgehend unkonventionelle Gestaltungen zunehmend an Bedeutung. Die Teilnahme an mehreren Pleinairs in Polen förderte diesen Prozeß. Dort entstanden nun vollplastische, raumbezogene Instal- lationen die sich im leisen Kontrast und voller Symbolik einer natürlichen Umgebung zuordnen.Von da an bedient sich Barber verstärkt beziehungsreicher Metaphern. Sie helfen, den
oft mehrschichtigen Gehalt vieler Arbeiten zu erschließen. So werden dem Betrachter neben den sinnlichen und gefühlsmäßigen auch ganz spezielle intellektuelle Erlebnismöglichkelten geboten.

Besonders ein längerer Aufenthalt im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf vermittelte der kreativen Tätigkeit Sabine Barbers wesentliche Impulse. Sie gelangte zu neuer Ausdruckskraft. Durch ein unbeschwerteres Herangehen wirkt die Bildsprache seither spontaner sowie konsequenter. Sie ist noch intensiver und eindringlicher geworden. Andersartige Fundstücke wider- spiegeln äußere, vor allem jedoch innere Erfahrungen und Umbrüche, die aus der Wiepersdorfer Periode resultieren. Federn symbolisieren zum Beispiel gelöstes Emporfliegen, Steine hingegen veranschaulichen Gebundenheit. Definitiv deutbar sind die Gleichnisse ohnehin nicht, da sie verschiedene Empfindungen verkörpern und vereinen können.

Neben den weiterhin emsig gesammelten und verarbeiteten Alltagsutensilien wendet sich Barber jetzt eingehender sowie unmittelbarer natürlichen Gebilden zu. Sie dienen in der vorgefundenen und überwiegend so belassenen Form als Basis der Reflexionen. Ihre Spuren können in Papieren wahrnehmbar bleiben oder sie werden sichtbarer in Plastikfolien eingesteppt Schon diese recht profanen, zivilisationstypischen „Verpackungen" sorgen für mehr als nur äußerliche Glanzlichter und Kontraste. Der Widerspruch zwischen den vornehmlich organischen Relikten und den „Kunststoffschreinen" ist auch ein alltäglicher.

Ob Insektenflügel oder Pflanzenteil, jeglicher Fund erfährt Aufwertung. Er wird als Unikat hervorgehoben und zugleich durch Verfremdung, mittels komplexer Sichtweisen im Gesamtbild in andersartige Beziehungsgeflechte gestellt.Solche Objekte können nicht nur die Schönheit der kleinen „Mahnmale" offenbaren, sondern darüber hinaus die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit alles Natürlichen reflektieren. Auch die von Barber sehr sensibel „konservierten Zustandsstadien bleiben letztlich dem Faktor Zeit unterworfen.

Allerdings drängen sich die thematischen Aspekte nie vordergründig auf. Sabine Barber bevorzugt die leisenTöne. Die Wirkung ist dafür um so eindringlicher und nachhaltiger. Vieles, was zunächst erzählerisch leicht und locker, mitunter auch dekorativ erscheint, vermag zu täuschen. Es bedarf eingehender Auseinandersetzung, Einfühlungsvermögens und Phantasie um den Sinngehalt zu erschließen. Selbst die Ästhetik der Details birgt allerlei Überraschungen. Obwohl aus Haus und Garten stammend, gibt die Herkunft der Dinge so manches Rätsel auf.

Häufig erleichtern ein feinsinniger Humor sowie die Freude am kreativen Spiel den Zugang zu den Arbeiten. Bereits deren Titel können vielschichtige, einander widersprechende oder ergänzende Zusammenhänge andeuten. Daß Barber eine ebenso wache wie espritvolle Beobachterin ist, zeigen etliche Assemblagen. Da werden hintergründig allzu männliches Gebaren oder kontrastreich und farbenfroh modische Trends auf die Schippe genommen.

Stiller wirken Barbers „Bücher". Voller Poesie und Nachdenklichkeit, mit Melancholie oder Heiterkeit ist in ihnen ein phantastischer Mikrokosmos vereint.Wiederum eröffnen sich neue Sichten auf dieWelt der Insekten und Gräser. Alltagsdinge haben filigrane Abdrücke, Fäden feine Gefüge im reich strukturierten Büttenpapier hinterlassen. Fabelwesen sowie gefährdete Weggefährten" bevölkern imaginäre Räume. Sogar „Liebesoblaten" werden dargebracht. Erneut vollzieht sich Großes im Kleinen. Gleich Menetekeln erinnern in weiteren Arbeiten Schrift- und Bildzeichen an grundlegende Zivilisationsfragen.

Da viele Objekte aus relativ beweglichen Gliedern zusammengefügt sind, ergeben sich mannigfache Variationsmöglichkeiten.
Zwischen den Einzelteilen entstehen zusätzliche und jeweils andersartige Spannungen oder Harmonien. Selbst d. Anordnung innerhalb der „Verpackung" kann variabel bleiben.Werden dann Ingredienzen, wie beispielsweise Nußschalen, mit Textpassagen kombiniert, gilt es so mancherlei Nüsse zu knacken - freilich im übertragenen Sinn. Anderen alls verwandeln sich Laub und Goldpapier in stimmungsvolle Kompositionen. Kostbar mutet ebenfalls ein Geflecht ausTeilen der Lunana- pflanze an. Kleinen, geheimnisvollen Monden ähnelnd, scheinen die lichten Silberblättchen schwerelos zu schweben.

Die belassenen Freiräume sind nicht nur formal sowie für die Ausstrahlungskraft von Belang. Durch sie öffnen sich die Gestaltungen dem Umfeld und beziehen es ein. Auch das folgt einem künstlerischen Entwicklungsprozeß. Vielleicht führt dieser noch unmittelbarer zu allem Natürlichen. Egal was für Lebensspuren und Bereiche Sabine Barber erkunden wird oder auf welche Weise das geschieht, Überraschungen sind ganz gewiss zu erwarten.


Dr. Thomas Müller