Sabine Barber hat erst relativ spät
und auf kunstpädagogischen „Umwegen" zur
professionellen künstlerischen Arbeit gefunden. Um so erstaunlicher
ist das bisher Geschaffene.Vielfältig, jedoch einer maßvollen
Grundhaltung folgend, werden die Betätigungsfelder, Themenbereiche
sowie Darstellungsformen erschlossen. Das resultiert aus der
Suche nach den jeweils adäquaten
Ausdrucksmitteln und spricht für eine stetige Experimentierfreude.
Allein die Fülle der Materialien und Techniken, deren sich
Barber bedient, die sie variiert oder kombiniert, ist bemerkenswert.
So bietet das Werk immer wieder überraschende und unkonventionelle Lösungen, ohne
bestimmte Traditionen oder Wertvorstellungen außer acht
zu lassen.Vielschichtig sind die verschiedenen Artikulationen
miteinander verwoben. Das gilt für Formen wie Inhalte.
Ein Gespür für Handwerkliches,
für alles Stoffliche und die spezifischen Eigenheiten unterschiedlicher
Materialien sowie Improvisations-vermögen
wurden bereits wesentlich durch das Elternhaus geprägt.
So kann es kaum verwundern, daß fami-liäre Beziehungen,
Lebensbilder und konkrete Spuren wiederholt imTextilen oder bestimmten
Accessoires Widerspiegelung finden. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Zusammengefügten
zunächst um sehr persönliche Gegenstände und
damit verbundene Erinnerungen.
Doch auch in derartigen, relativ intimen Arbeiten kommen kennzeichnende
Beweggründe für Barbers Gestaltungen zum Ausdruck.
Es sind die Achtung vor und die Liebe zu den kleinen, im Alltag
häufig übersehenen
oder kaum geschätzten „Dingen des Lebens", die
sie motivieren. Selbst dem vorgeblich Unscheinbaren gilt gebührende Aufmerksamkeit. Von neuem
erfährt es Würdigung und Belebung. Vor allem in ungewöhnlicher
Konstellation erlangt der einfachste Gegenstand eine Bedeutung,
die über das rein Äußerliche
oder die ursprüngliche Funktion hinauszuführen vermag.
Auf diese Art von „Spurensuche" werden neben ästhetischen
Besonderheiten ebenso Geschichte und Geschichten veranschaulicht.
Die fast grenzenlose Sammelleidenschaft Sabine Barbers hat
nichts mit bloßer
Nostalgie gemein. Als Recherche, Selbster- kundung und Kommunikationsangebot
werden Vergangenes, Gegenwärtiges und damit auch Zukünftiges
individuell sowie allgemeingültig hinterfragt. Mit dem Bewahren
und betonten Herausstellen geht ein geistigethischer Prozeß einher. Solche Assemblagen
verbildlichen Wertmaßstäbe und Relationsverständnis.
Sie widersetzen sich dem Vergessen wie auch der Oberflächlichkeit in der schnelllebigen heutigen
Zeit. Die Objekte vermögen zu sensibilisieren und dienen
der Besinnung. Allerdings geschieht das nie moralisierend,
sondern aufsehr lebendige, wirklich anregende Weise.
Ebenso behutsam
wie sich Barber den Themen nähert,
ist ihr Umgang mit den Materialien und deren Gebrauchs- oder
Verfallsspuren. Nichts wird vergewaltigt. Vielmehr hebt sie
den Reiz schlichter Werkstoffe oder Gegenstände, deren Farb-
und Strukturreichtum hervor. Ein ganz besonderes Verhältnis
zu allem Natürlichen ist dabei unübersehbar. Überhaupt
spielt in Barbers Werk die Natur - im Großen wie im Kleinen, direkt oder indirekt - eine
wichtige Rolle. Einerseits deren unermeßliche Vielfalt
und andererseits die dem innewohnende Ordnung und Harmonie stimulieren
immer wieder die künstlerische
Auseinandersetzung. Was zum Beispiel mit der verdichteten und
abstrahierten Übertragung von Landschaften begann, mündet nun im
unmittelbar in die Gestaltung einbezogenem Fundstück.
Kontinuierlich erprobt und verbindet Sabine Barber verschiedenste
Materialien sowie Techniken. Zunächst faszinierten sie das
Patchwork und vor allem die Stickerei, die sich bis heute wie
der sprichwörtliche rote
Faden durch ihr Oeuvre zieht. In den achtziger Jahren dominieren
klare, teils streng reduzierte Formen die Bildgefüge. Sie können sowohl Bewegungen
als auch Räumliches assoziieren. Lebendige Details verleihen
den Gebilden ein eher malerisches oder mehr grafisches Gepräge. So sind die Kompositionen
wie bei der Serie von "Zeichen" maßvoll ausgewogen
und doch voller Spannungen.
Die Farbklänge wirken meist verhalten. Ein bedecktes, fein
abgestimmtes Kolorit überwiegt. Nur wo nötig setzen
kräftig oder kostbar leuchtende Töne prägnante
Akzente. Generell sind das emotionale Moment, die denArbeiten
innewohnenden Stimmungen wichtig. Sie können elegische Stille übertragen
und ebenfalls in heiter beschwingte Gefühlswelten führen.
Besonders temperamentvoll muten viele der experimentellen Objekte
an. Die Lust am Spielerischen, an wirklich pfiffigen Effekten
und verblüffenden Bestandteilen wird
offensichtlich. Sogar funktionstüchtige Spiele laden zum
fröhlichen Mittun ein In andere Arbeiten werden Ausdrucksmittel
fremder Kulturen einbezogen. Uralte Mythen und Menschheitsträume
leben in lapidaren Symbolen wieder auf. Ihrer magischen Ausstrahlung
kann man sich kaum entziehen. Solchen Bildfindun- gen haftet
etwas Geheimnisvolles an. Sinnbildliches.Traumhaftes wie Wirkliches überlagern sich und fließen ineinander.
Seit Anfang
der Neunziger gewannen freie, weitgehend unkonventionelle Gestaltungen
zunehmend an Bedeutung. Die Teilnahme an mehreren Pleinairs in
Polen förderte
diesen Prozeß. Dort entstanden nun vollplastische, raumbezogene
Instal- lationen die sich im leisen Kontrast und voller Symbolik
einer natürlichen Umgebung
zuordnen.Von da an bedient sich Barber verstärkt beziehungsreicher
Metaphern. Sie helfen, den
oft mehrschichtigen Gehalt vieler Arbeiten zu erschließen.
So werden dem Betrachter neben den sinnlichen und gefühlsmäßigen
auch ganz spezielle intellektuelle Erlebnismöglichkelten geboten.
Besonders ein längerer Aufenthalt im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf
vermittelte der kreativen Tätigkeit Sabine Barbers wesentliche Impulse.
Sie gelangte zu neuer Ausdruckskraft. Durch ein unbeschwerteres
Herangehen wirkt die Bildsprache seither spontaner sowie konsequenter.
Sie ist noch intensiver und eindringlicher geworden. Andersartige
Fundstücke
wider- spiegeln äußere, vor allem jedoch innere Erfahrungen
und Umbrüche, die aus der Wiepersdorfer Periode resultieren.
Federn symbolisieren zum Beispiel gelöstes Emporfliegen,
Steine hingegen veranschaulichen Gebundenheit. Definitiv deutbar
sind die Gleichnisse ohnehin nicht, da sie verschiedene Empfindungen
verkörpern und vereinen können.
Neben den weiterhin emsig gesammelten und verarbeiteten Alltagsutensilien
wendet sich Barber jetzt eingehender sowie unmittelbarer natürlichen
Gebilden zu. Sie dienen in der vorgefundenen und überwiegend
so belassenen Form als Basis der Reflexionen. Ihre Spuren können
in Papieren wahrnehmbar bleiben oder sie werden sichtbarer in
Plastikfolien eingesteppt Schon diese recht profanen, zivilisationstypischen „Verpackungen" sorgen
für mehr als nur äußerliche Glanzlichter und Kontraste.
Der Widerspruch zwischen den vornehmlich organischen Relikten
und den „Kunststoffschreinen" ist auch ein alltäglicher.
Ob Insektenflügel oder Pflanzenteil, jeglicher Fund erfährt
Aufwertung. Er wird als Unikat hervorgehoben und zugleich durch
Verfremdung, mittels komplexer Sichtweisen im Gesamtbild in andersartige
Beziehungsgeflechte gestellt.Solche Objekte können nicht
nur die Schönheit
der kleinen „Mahnmale" offenbaren, sondern darüber
hinaus die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit alles Natürlichen
reflektieren. Auch die von Barber sehr sensibel „konservierten
Zustandsstadien bleiben letztlich dem Faktor Zeit unterworfen.
Allerdings drängen sich die thematischen Aspekte nie vordergründig
auf. Sabine Barber bevorzugt die leisenTöne. Die Wirkung
ist dafür um
so eindringlicher und nachhaltiger. Vieles, was zunächst
erzählerisch leicht und locker, mitunter auch dekorativ
erscheint, vermag zu täuschen. Es bedarf eingehender
Auseinandersetzung, Einfühlungsvermögens und Phantasie
um den Sinngehalt zu erschließen. Selbst die Ästhetik der Details birgt
allerlei Überraschungen. Obwohl aus Haus und Garten stammend,
gibt die Herkunft der Dinge so manches Rätsel auf.
Häufig erleichtern ein feinsinniger
Humor sowie die Freude am kreativen Spiel den Zugang zu den Arbeiten.
Bereits deren Titel können vielschichtige, einander widersprechende
oder ergänzende
Zusammenhänge andeuten. Daß Barber eine ebenso wache
wie espritvolle Beobachterin ist, zeigen etliche Assemblagen.
Da werden hintergründig allzu
männliches Gebaren oder kontrastreich und farbenfroh modische
Trends auf die Schippe genommen.
Stiller wirken Barbers „Bücher". Voller Poesie und
Nachdenklichkeit, mit Melancholie oder Heiterkeit ist in ihnen
ein phantastischer Mikrokosmos vereint.Wiederum eröffnen sich neue Sichten auf dieWelt
der Insekten und Gräser. Alltagsdinge haben filigrane Abdrücke,
Fäden feine Gefüge im reich strukturierten Büttenpapier
hinterlassen. Fabelwesen sowie gefährdete Weggefährten" bevölkern
imaginäre
Räume. Sogar „Liebesoblaten" werden dargebracht.
Erneut vollzieht sich Großes im Kleinen.
Gleich Menetekeln erinnern in weiteren Arbeiten Schrift- und
Bildzeichen an grundlegende Zivilisationsfragen.
Da viele Objekte aus relativ beweglichen Gliedern zusammengefügt
sind, ergeben sich mannigfache Variationsmöglichkeiten.
Zwischen den Einzelteilen entstehen zusätzliche und jeweils andersartige
Spannungen oder Harmonien. Selbst d. Anordnung innerhalb der „Verpackung" kann
variabel bleiben.Werden dann Ingredienzen, wie beispielsweise Nußschalen,
mit Textpassagen kombiniert, gilt es so mancherlei Nüsse zu knacken -
freilich im übertragenen Sinn. Anderen alls verwandeln sich Laub und Goldpapier
in stimmungsvolle Kompositionen. Kostbar mutet ebenfalls ein Geflecht
ausTeilen der Lunana- pflanze an. Kleinen, geheimnisvollen Monden ähnelnd,
scheinen die lichten Silberblättchen schwerelos zu schweben.
Die belassenen Freiräume sind nicht nur formal sowie für
die Ausstrahlungskraft von Belang. Durch sie öffnen sich
die Gestaltungen dem Umfeld und beziehen es ein. Auch das folgt
einem künstlerischen Entwicklungsprozeß.
Vielleicht führt dieser noch unmittelbarer zu allem Natürlichen.
Egal was für Lebensspuren und Bereiche Sabine Barber erkunden
wird oder auf welche Weise das geschieht, Überraschungen sind ganz gewiss
zu erwarten.
Dr. Thomas Müller
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